Freitag, 2. Juli 2010

Schiller und die Tyrannen

Heute haben wir ein wenig über Schiller gesprochen, genau genommen über seine Ballade "Die Bürgschaft". Ohne jetzt lange unser analytisches Gespräch reproduzieren zu wollen, komme ich einfach mal direkt zu einem sehr wichtigen Ergebnis: 
Nämlich das Schiller danach strebte, Herrscher durch die menschliche Rührung auf Grund einer Ballade oder durch Kunst allgemein zum Guten zu bessern. Also eigentlich eine Reanimation des Katharsis-Begriffes nach Aristoteles. 
An sich ja eine schöne Vorstellung, nur worüber müsste man heute dichten, um bei Merkel und Co eine menschliche Rührung hervorzurufen, die der Besserung dient?
Was für Kunst braucht es, wenn sogar Afghanistan oder die Klima-Katastrophe einer ersichtlichen und spürbaren Hinwendung zum Guten nicht dienlich sind? 
Oder ist es ein Zeichen für Besserung, das Elterngeld zu kürzen und es Hartz IVlern ganz streichen zu wollen? 
Aber mal ganz ehrlich: Wen interessiert das schon? Wo wir doch Sieger des Grand Prix sind und grade die Weltmeisterschaft läuft. Und hey, wir verdummen ja nicht. Wir sitzen schön vor dem Fernseher, ein Gerät das die Welt bedeutet, und wenn unsere Mannschaft dann beispielsweise 4:0 gegen Australien in der Vorrunde spielt, springen wir gleich alle auf, mit unserer dreifarbigen Kriegsbemalung im Gesicht und tun unsere Freude kund. Dann laufen wir die ganze Nacht mit diesen unsäglichen Vuvuzelas durch die Stadt und tun so, als wären wir schon Weltmeister. Und weil solche Aktionen ja sehr anstrengend und auch kulturell wertvoll sind, haben wir dann leider keine Kraft mehr, uns für den Klimaschutz, Bildung oder das Elterngeld zu engagieren.
Und wer jetzt denkt: "Jaja, Recht hat sie." dem muss ich leider sagen: Jaja, Recht habe ich schon. Aber auch eine ganz schön große Klappe, dafür dass ich vorhin noch Ghana gegen Uruguay geguckt habe und außer einen kleinen sarkastischen Text zu schreiben, der noch dazu wunderschön pauschalisiert, nicht wirklich was tue. Gut ich informiere mich und denke nach und lass mich ab uns zu mal auf Uni-Demos oder Vollversammlungen sehen. Und wenn schon. 

Dafür lasse ich jetzt den guten, alten Schiller sprechen, leg los, du Genie!

Die Bürgschaft: 

Zu Dionys, dem Tyrannen, schlich 
Damon*), den Dolch im Gewande: 
Ihn schlugen die Häscher in Bande, 
"Was wolltest du mit dem Dolche? sprich!" 
Entgegnet ihm finster der Wüterich. 
"Die Stadt vom Tyrannen befreien!" 
"Das sollst du am Kreuze bereuen." 

"Ich bin", spricht jener, "zu sterben bereit 
Und bitte nicht um mein Leben: 
Doch willst du Gnade mir geben, 
Ich flehe dich um drei Tage Zeit, 
Bis ich die Schwester dem Gatten gefreit; 
Ich lasse den Freund dir als Bürgen, 
Ihn magst du, entrinn' ich, erwürgen." 

Da lächelt der König mit arger List 
Und spricht nach kurzem Bedenken: 
"Drei Tage will ich dir schenken; 
Doch wisse, wenn sie verstrichen, die Frist, 
Eh' du zurück mir gegeben bist, 
So muß er statt deiner erblassen, 
Doch dir ist die Strafe erlassen." 

Und er kommt zum Freunde: "Der König gebeut, 
Daß ich am Kreuz mit dem Leben 
Bezahle das frevelnde Streben. 
Doch will er mir gönnen drei Tage Zeit, 
Bis ich die Schwester dem Gatten gefreit; 
So bleib du dem König zum Pfande, 
Bis ich komme zu lösen die Bande." 

Und schweigend umarmt ihn der treue Freund 
Und liefert sich aus dem Tyrannen; 
Der andere ziehet von dannen. 
Und ehe das dritte Morgenrot scheint, 
Hat er schnell mit dem Gatten die Schwester vereint, 
Eilt heim mit sorgender Seele, 
Damit er die Frist nicht verfehle. 

Da gießt unendlicher Regen herab, 
Von den Bergen stürzen die Quellen, 
Und die Bäche, die Ströme schwellen. 
Und er kommt ans Ufer mit wanderndem Stab, 
Da reißet die Brücke der Strudel hinab, 
Und donnernd sprengen die Wogen 
Des Gewölbes krachenden Bogen. 

Und trostlos irrt er an Ufers Rand: 
Wie weit er auch spähet und blicket 
Und die Stimme, die rufende, schicket. 
Da stößet kein Nachen vom sichern Strand, 
Der ihn setze an das gewünschte Land, 
Kein Schiffer lenket die Fähre, 
Und der wilde Strom wird zum Meere. 

Da sinkt er ans Ufer und weint und fleht, 
Die Hände zum Zeus erhoben: 
"O hemme des Stromes Toben! 
Es eilen die Stunden, im Mittag steht 
Die Sonne, und wenn sie niedergeht 
Und ich kann die Stadt nicht erreichen, 
So muß der Freund mir erbleichen." 

Doch wachsend erneut sich des Stromes Wut, 
Und Welle auf Welle zerrinnet, 
Und Stunde an Stunde entrinnet. 
Da treibt ihn die Angst, da faßt er sich Mut 
Und wirft sich hinein in die brausende Flut 
Und teilt mit gewaltigen Armen 
Den Strom, und ein Gott hat Erbarmen. 

Und gewinnt das Ufer und eilet fort 
Und danket dem rettenden Gotte; 
Da stürzet die raubende Rotte 
Hervor aus des Waldes nächtlichem Ort, 
Den Pfad ihm sperrend, und schnaubet Mord 
Und hemmet des Wanderers Eile 
Mit drohend geschwungener Keule. 

"Was wollt ihr?" ruft er vor Schrecken bleich, 
"Ich habe nichts als mein Leben, 
Das muß ich dem Könige geben!" 
Und entreißt die Keule dem nächsten gleich: 
"Um des Freundes willen erbarmet euch!" 
Und drei mit gewaltigen Streichen 
Erlegt er, die andern entweichen. 

Und die Sonne versendet glühenden Brand, 
Und von der unendlichen Mühe 
Ermattet sinken die Kniee. 
"O hast du mich gnädig aus Räubershand, 
Aus dem Strom mich gerettet ans heilige Land, 
Und soll hier verschmachtend verderben, 
Und der Freund mir, der liebende, sterben!" 

Und horch! da sprudelt es silberhell, 
Ganz nahe, wie rieselndes Rauschen, 
Und stille hält er, zu lauschen; 
Und sieh, aus dem Felsen, geschwätzig, schnell, 
Springt murmelnd hervor ein lebendiger Quell, 
Und freudig bückt er sich nieder 
Und erfrischet die brennenden Glieder. 

Und die Sonne blickt durch der Zweige Grün 
Und malt auf den glänzenden Matten 
Der Bäume gigantische Schatten; 
Und zwei Wanderer sieht er die Straße ziehn, 
Will eilenden Laufes vorüber fliehn, 
Da hört er die Worte sie sagen: 
"Jetzt wird er ans Kreuz geschlagen." 

Und die Angst beflügelt den eilenden Fuß, 
Ihn jagen der Sorge Qualen; 
Da schimmern in Abendrots Strahlen
Von ferne die Zinnen von Syrakus, 
Und entgegen kommt ihm Philostratus, 
Des Hauses redlicher Hüter, 
Der erkennet entsetzt den Gebieter: 

"Zurück! du rettest den Freund nicht mehr, 
So rette das eigene Leben! 
Den Tod erleidet er eben. 
Von Stunde zu Stunde gewartet' er 
Mit hoffender Seele der Wiederkehr, 
Ihm konnte den mutigen Glauben 
Der Hohn des Tyrannen nicht rauben." 

"Und ist es zu spät, und kann ich ihm nicht, 
Ein Retter, willkommen erscheinen, 
So soll mich der Tod ihm vereinen. 
Des rühme der blut'ge Tyrann sich nicht, 
Daß der Freund dem Freunde gebrochen die Pflicht, 
Er schlachte der Opfer zweie 
Und glaube an Liebe und Treue!" 

Und die Sonne geht unter, da steht er am Tor, 
Und sieht das Kreuz schon erhöhet, 
Das die Menge gaffend umstehet; 
An dem Seile schon zieht man den Freund empor, 
Da zertrennt er gewaltig den dichten Chor: 
"Mich, Henker", ruft er, "erwürget! 
Da bin ich, für den er gebürget!" 

Und Erstaunen ergreifet das Volk umher, 
In den Armen liegen sich beide 
Und weinen vor Schmerzen und Freude. 
Da sieht man kein Auge tränenleer, 
Und zum Könige bringt man die Wundermär'; 
Der fühlt ein menschliches Rühren, 
Läßt schnell vor den Thron sie führen, 

Und blicket sie lange verwundert an. 
Drauf spricht er: "Es ist euch gelungen, 
Ihr habt das Herz mir bezwungen; 
Und die Treue, sie ist doch kein leerer Wahn - 
So nehmet auch mich zum Genossen an: 
Ich sei, gewährt mir die Bitte, 
In eurem Bunde der Dritte!" 

Donnerstag, 1. Juli 2010

Vanitas von früher

Beim Lesen alter Tagebücher bin ich auf diese Zeilen gestoßen, in der Zeit haben wir in einem Seminar Bilder, die den Vanitas-Gedanken ausdrücken, ganz am Rande behandelt.

Stillleben (23.11.2008)

In dem Kelch noch etwas Wein
Abendsonne bricht herein
beleuchtet sanft den kleinen Tisch
ihr letzter Strahl berührt nur zart
was einst des Geistes Heimat ward

Wind weht leise durch den Raum
Und der Kerze dünner Rauch
flieht fort, vergeht, versiegt
bis der Wind ihn trägt davon
und er in die Weite fliegt

Aufgeschlagen liegt das Buch
Seiten die mein Leben sind
durch die Blätter weht der Wind.


Stilleben von Pieter Claesz, 1630